In dem heutigen Faznet-Artikel “Staaten im Umbruch – Die Kinder der Facebook-Revolution” beschäftigt sich Thomas Apolte (Prof. für Volkswirtschaft) mit dem “Warum” des Entstehens von Revolutionen und der Frage nach dem “Danach”. Ausgangspunkt ist Ägypten.
Nun ist Volkswirtschaft noch nie mein Steckenpferd gewesen. Eher oft ein Buch mit sieben Siegeln. Aber in dem Artikel kann einer gut erklären.
Zur Entstehung von Revolutionen werden zwei wesentliche Komponenten ausgemacht: die Bestrafungswahrscheinlichkeit und das Entstehen oder Vorhandensein eines sog. fokalen Punktes. Die Beidem zugrundeliegenden Mechanismen werden gut erklärt.
Zur Bestrafungswahrscheinlichkeit macht Apolte zwei Gleichgewichte aus:
“Erstens: Ist die Bestrafungswahrscheinlichkeit zunächst hinreichend hoch, so sinkt die Zahl der Teilnehmer an Protestaktionen, was die Bestrafungswahrscheinlichkeit weiter steigen lässt. Die Aktionen versanden.
Das zweite Gleichgewicht: Hat die Bestrafungswahrscheinlichkeit einmal einen kritischen Wert unterschritten, so zieht dies weitere Protestierende an, womit die Bestrafungswahrscheinlichkeit weiter sinkt, was wiederum weitere Protestierende anzieht, und so weiter. … Hat sich das zweite Gleichgewicht einmal eingestellt, dann kann ein Regime den Erwartungswert der Bestrafungen nur noch mit sichtbar drastischen Strafmaßen wieder ansteigen lassen, denn über die Bestrafungswahrscheinlichkeit hat es die Kontrolle verloren.”
Der fokale Punkt (nach dem Nobelpreisträger Thomas Schelling) ist der Ort, den die revolutionsbereiten Menschen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit als den Ort einschätzen, den die anderen jeweils wählen. Wobei zu diesem Ort nicht nur der physische Ort, sondern auch die mit höchster Wahrscheinlichkeit gewählte Zeit gehört. “Hätte eine revolutionsbereite Bevölkerung einen solchen fokalen Punkt, dann könnte dies das Ende eines Regimes bedeuten. Denn dann könnte die Bevölkerung mit einem Schlag die Bestrafungswahrscheinlichkeit aller Teilnehmer unter die kritische Schwelle drücken …” Fokale Punkte können sich ungewollt ergeben; sie können geschaffen werden. Und Apolte stellt auch fest, dass über Internetplattformen wie Facebook solch fokale Punkte gut geschaffen und koordiniert werden können.
Und er fasst zu beidem zusammen:
“Will eine Bevölkerung ihre Unterdrücker abschütteln, so muss sie sich zur selben Zeit in so großer Zahl zusammenfinden, dass die Sicherheitskräfte den Überblick verlieren und daher die Wahrscheinlichkeit einer Strafe für jeden Teilnehmer so weit sinkt, dass er von Strafen nicht mehr abgeschreckt werden kann. Genau das müsste anschließend eine hinreichend große Zahl hoher Funktionsträger zum Wechsel ihrer Loyalität veranlassen.”
Und da sind wir dann bei dem “Danach”. Wie entsteht an einem Ort der Diktatur Demokratie? Was braucht sie?
“… Demokratie braucht mehr als Mehrheitsentscheidungen. Sie braucht ein feingesponnenes Netz von Institutionen und Kontrollmechanismen, welche tief in der Gesellschaft verankert sind.
Nur so können neue Herrscher unter die Kontrolle demokratischer Regeln gebracht werden, ohne dass man auf die Formierung eines neuen fokalen Punktes warten muss.
Damit das funktioniert, darf im Prinzip keine bedeutende oder unbedeutende Machtposition an keiner Stelle der Gesellschaft sicher sein vor Wettbewerbern, welche den Trägern dieser Macht über allgemein akzeptierte Regeln die Position streitig machen könnten, und das bis in die letzte Amtsstube und in die letzte staatliche oder halbstaatliche Organisation hinein. Deshalb ist die Entwicklung der modernen rechtsstaatlichen Demokratien eine so große Kulturleistung …”
Und ich meine, Demokratie hört auf, wenn wir aufhören, um sie zu kämpfen. Im Großen wie im Kleinen. Jeden Tag. Nicht nur in Ägypten. Nein auch hier in Deutschland. Denn jeder große Diktator war irgendwann mal ein kleiner selbstgerechter Politiker. Und auch das italienische Korruptionsgeflecht ist nicht über Nacht entstanden.
Danke fuer den Artikel! Das ist wieder mal genau mein Ding…