Wieder ein Mensch – einer, der viel bewegt hat im Leben -, der zu früh geht. Ein Mensch, der an einer dieser beschissenen Geißeln der Menschheit scheitert.
Quer durch die Presselandschaft breiteten sich die Nachrufe aus, die versuchen ihre Rolle im “Wendeprozess” zu würdigen. Beim Lesen in der Berliner Zeitung bin ich dabei auf einen sehr schönen Artikel und auf für mich Vergessenes gestoßen:
Bärbel Bohley hatte so einen Sinn, so eine Begabung, immer ein Stückchen tiefer in die Dinge hineinzublicken als andere. Sie sah Gefahren und Gefährdungen eher – und täuschte sich fast nie. Hätte sie etwa Anfang September 1990 nicht so einen Verdacht gehabt, dass “die uns im Einigungsvertrag mit den Stasi-Akten über den Tisch ziehen”, würden die Unterlagen des Mielke-Ministeriums heute noch mit 30-jähriger Sperrfrist verschlossen im Koblenzer Bundesarchiv lagern. Mit einer nochmaligen Besetzung der Stasi-Zentrale am 4. September 1990 erzwang sie mit ihren Mitstreitern die von der ersten freigewählten Volkskammer beschlossene Öffnung der Akten.
Denn auch über mich gibt es eine solche Akte, deren Belebung 1988 gerade zu lächerlich war. Lächerlich, weil sie nicht möglicher Systemkritik sondern ausschließlich der Angst des Systems selbst Ausdruck verleiht. Diese Angst hat die Stasi damals motiviert, einen Mitschüler unter Druck zu setzen, damit dieser den Kontakt zu mir abbricht. Komplett. Warum? Ich habe einen hessischen Vater. Das und ein familiärer Besuchswunsch meiner alten Omi haben gereicht für ziemlich viel Aufmerksamkeit für ein kleines Licht wie mich, dass ausserdem noch reichlich linientreu aufgewachsen ist. Also alles in allem eine ziemlich unsinnige Aufmerksamkeit.
Wieviel Mut muss eine Bärbel Bohley in solch Generalbespitzelung aufgebracht haben! Eine Bespitzelung, der ich mir so in dem Ausmaß naiverweise nicht bewusst war. Und ich bin dankbar, dass ich das komische Gefühl in der Magengegend dazu erst kurz vor der Wende hatte.