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Zeit- so anders wie Kulturen verschieden sind (3)

Im nächsten Kapitel zu einer weiteren Dimension der sozialen Zeit wurde es spannend.

Teil 1 – Die soziale Zeit

Die Dauer

Im Prinzip ist die Dauer der Zeit genau festgelegt. Für einen Physiker dauert eine Sekunde ganz genau 9.192.631.700 Strahlungschwingungen bei Cäsium 133 (Levine hat hier einen Schreibfehler). Wiki:

Die Sekunde als Maßeinheit der Zeit ist seit 1967 als das 9.192.631.770-fache der Periode eines bestimmten atomaren Übergangs in Caesium definiert.[29] Dazu passend ist Caesium das die Frequenz bestimmende Element in den Atomuhren, die die Basis für die koordinierte Weltzeit bilden.[30] Caesium wurde für diese Anwendung gewählt, weil der Übergang zwischen den beiden Grundzuständen mit 9,1 GHz noch mit elektronischen Mitteln erreichbar ist.

Für unsere Wahrnehmung ist die Dauer der Zeit gar nicht so genau und eindeutig erfassbar. Und wenn Anhaltspunkte auf die wirkliche Zeit wegfallen, bricht unser Sinn für die Zeit sogar ganz zusammen. Wir haben also eine psychische Uhr. Aber was beeinflusst die?

Laut Levine gibt es Hinweise darauf, dass bei niedrigerer Körpertemperatur die Zeitdauer kürzer eingeschätzt wird und bei höherer länger. “Wahrscheinlich leben also Menschen in wärmeren Gegenden nach einer langsamer laufenden inneren Uhr.” Fühlt sich deshalb der gestresste Deutsche in warmen Gegenden so wohl und entspannt? Tommi wollte ob der Aussage jedenfalls gleich gen Süden auswandern. ;)

Was ich auch total irre fand, war, dass es individuelle Unterschiede gibt, wie, dass Dicke genauer schätzen als Normalgewichtige, extrovertierte Menschen genauer als introvertierte usw. … ach und Frauen ungenauer als Männer. Mit letzterem bin ich jetzt fein raus :) … ich kann gor nichts dafür, wenn ein Mann auf mich warten muss. ;) Er schätzt die Zeitdauer einfach besser ein als ich. :)

Für Mumpitz hielt ich eigentlich, dass Zeit tatsächlich zu verlangsamen ist. Ja, ich weiß, es ist eine Übung des Zen-Buddhismus, sich so zu konzentrieren, dass die Zeit stillzustehen scheint. Oder sagen wir, ich habe davon gehört. Leistungssportler sprechen wohl auch von solchen Momenten. Wobei ich zugeben muss, der Gedanke hat was. Und wenn die Dauer von Zeit unterschiedlich wahrgenommen werden kann, warum dann nicht auch extrem unterschiedlich…

Es gibt auch eine dunkle Seite der psychischen Zeitverlängerung: die Langeweile. Levine sagt dazu, dass die Geschwindigkeit der Zeit unter das optimale Erregungsniveau absinkt. Ja ;), so kann man das auch bezeichnen. ;)
Diese Zeitverlangsamung ist deshalb so ätzend, weil sie außerhalb unserer Kontrolle liegt. Was übrigens auch ein Problem im Bereich der Depression darstellt.

Eigentlich stand an dieser Stelle noch etwas zu einer persönlichen Erfahrung zum Thema “deutliche Abweichung gefühlter zu tatsächlicher Zeit”. Aber das Hurtigruten-www-Loch hat´s gefressen. Dann soll es wohl nicht sein. ;)

Doch zurück zu der Frage: Was beeinflusst unsere psychische Uhr? Levine macht dabei 5 Komponenten aus:

  1. angenehme Erfahrungen
  2. der Grad der Dringlichkeit
  3. der Grad der Aktivität
  4. die Abwechslung
  5. zeitfreie Aufgaben

Zu 1. angenehme Erfahrungen

Es gibt doch tatsächlich Untersuchungen, wieviel Speicherplatz positive Erfahrungen auf unserer Hirnrinde einnehmen. Weniger Raum würde bedeuten, man hätte das Gefühl, sie hätten weniger Zeit beansprucht. Aha.

Was ich interssant finde, ist das im Buch beschriebene Projekt des Psychologen Robert Meade. “Meade nutzte dabei die Tatsache, dass die Menschen die Zeit als kürzer empfinden, wenn sie glauben, dass sie einem Ziel näher kommen.” Er hat den Arbeitern ein Gefühl des Fortschritts für ihre Arbeit vermittelt. Mit dem Ergebnis, dass die Arbeitsmoral und das Wohlbefinden stiegen.
Wenn das bedeutet, ich muss im Büro bei langwierigen Aufgaben – die sich über 1, 2, 3 Monate hinziehen und an denen täglich zu arbeiten ist – kleinere Etappen setzen, deren Erreichen auch noch mit irgendeiner Art angenehmer Erfahrung verbunden ist, dann sollte ich das tun. Denn ich erlebe bei sonst fröhlichen und motivierten Mitarbeitern immer wieder steigende Frustration im Zeitablauf bei solchen Arbeiten.

Zu 2. der Grad der Dringlichkeit

„Je größer die Dringlichkeit, desdo intensiver spürt man das Vergehen der Zeit. … Diese Dringlichkeitsregel erstreckt sich auf eine breite Palette von Bedürfnissen, von den grundlegenden physiologischen bis zu kulturell vorgegebenen Notwendigkeiten“ Wenn man also einen Zeitpunkt intensiv herbeisehnt, vergeht die Zeit besonders langsam. Scheinbar.

Zu 3. der Grad der Aktivität

Logisch ist die Aussage, es „… vergeht die Zeit schneller, wenn eine Aufgabe den Menschen in Anspruch nimmt, wenn sie ihn herausfordert und ihm geistige Anstrengung abverlangt und wenn mehr passiert.“

Diesen Faktor der Wahrnehmung einer Zeitdauer finde ich besonders spannend. Sagt unsere Meinung zu ihm doch viel über uns und ähnliche Kulturkreise aus und viel über Kulturen, eine ganz andere Sicht auf Aktivität und Nichtaktivität haben.

Levin beschreibt die Amerikaner als aktivitätsfanatisch, stets bemüht, Inaktivität zu vermeiden. Inaktive Zeiten sind tote Zeiten. Im Grunde kommt mir das sehr bekannt vor. In anderen Teilen der Welt sieht man das völlig anders.

„Die Japaner zum Beispiel empfinden besondere Hochachtung für das Konzept des „ma“ – des Zwischenraums zwischen Gegenständen oder Aktivitäten.“ Ein Zwischenraum ist danach nicht leer, wie wir es sagen würden, sondern „voll von Nichts“. Ein toller Gedanke!
Ich kann es nicht genau erklären, aber es gibt einen Grad an „voll von Nichts“ in einer Wohnung, der mir Ruhe, Frieden und Entspannung bringt. Nur bin ich nicht so richtig in der Lage, diesen Grad des inneren Friedens durch „Nichts“ selber herzustellen. Oder anders gesagt, irgend ein innerer Antrieb arbeitet eigentlich ständig dagegen.

Gerade jetzt im Rahmen meines Umzuges fällt mir das wieder übel auf. Eigentlich hätte ich zum Wohlfühlen gerne eine Wohnung mit viel freier Fläche auf dem Fußboden und übersichtlichen netten Inseln des Lebens darin.
Und was macht mein Kopf ständig? Er plant die Möblierung im Sinne einer Optimierungsaufgabe mit dem Ziel „Möglichst viele Möbel auf die verfügbare Fläche“. So ein Schrott. Und warum? Ich müsste massiv wegschmeißen. Auch Dinge, die noch vollständig in Ordnung sind. Und so bin ich schlicht nicht erzogen. (Meine Eltern sind jetzt schon am Überlegen, was SIE mit den Regalbrettern machen, die nicht mit umziehen. Und noch war nicht die Rede von zuentsorgenden Möbeln oder Inhalten. Da krieg ich echt die Krise!)

Und ich weiß jetzt schon, dass ich bei der Umbauplanung meiner Küche einen Fehler gemacht habe, der auch noch Geld kostet und der nur diese blöde Optimierungsaufgabe als Ursache hat. An den Kosten lässt sich idiotischerweise nichts mehr ändern. Aber ich denke, ich muss meine Küchenbauer an einer Ecke erstmal ausbremsen und dann in Ruhe sehen, ob ein „voll von Nichts“ an einer Wand nicht besser ist als ein Schrank.

Es geht jedoch bei Stille und Nichts nicht nur um Raum, sondern auch um Zeit.

„Die Schriftstellerin Eva Hoffmann beschrieb, wie sie während einer langen Reise durch Osteuropa die Bereitschaft der Menschen, die Stille zu akzeptieren, schätzen lernte:

„Nun warten wir wieder, sitzen uns still gegenüber. Wir sitzen, wie die Zen-Meister sitzen. Es gibt keine Peinlichkeit, kein hektisches Nicken mit dem Kopf oder beruhigendes Lächeln. Langsam emfinde ich das als seltsam entspannend. Ich gleite hinüber in eine andere Wahrnehmung der Ereignisse, in der man nicht darauf besteht, einen Plan zu erfüllen, sondern auf das wartet, was als nächstes passiert.“

Im Laufe ihrer Reise begann Hoffmann zu verstehen, dass vertrauensvolle Stille einen Glauben an die Dynamik der Veränderung und an die menschliche Natur an sich erfordert:

„Irgend etwas passiert immer als nächstes: Dieses Prinzip habe ich allmählich verinnerlicht. Die Welt erschöpft sich nicht und ebenso wenig die Menschen…“

„Wenn man die Stille schätzt, ist sie keine vergeudete Zeit mehr.“

Und noch etwas will ich dazu zitieren:

„Im Westen signalisiert ein Mangel an offensichtlicher Aktivität, dass nichts geschieht. Viele Menschen in anderen Teilen der Welt erkennen allerdings, dass eine oberflächliche Ruhe noch nicht bedeutet, dass es keine Veränderung gibt. Zeiträume der Inaktivität werden als notwendiger Vorlauf für eine sinnvolle Tätigkeit verstanden. Die Chinesen zum Beispiel gelten als Meister des Wartens auf den richtigen Augenblick. Sie glauben, dass das Warten selbst erst diesen Augenblick schafft.Wie lange muss man warten? So lange, wie es nötig ist. Eine künstliche Verkürzung dieser Reifephase wäre so unsinnig wie ein Sparen an den Fundamenten eines Gebäudes.“

Ich habe durchaus überlegt, dass so zu zitieren. Weil es meinem eigenen Handeln und Fühlen so konträr gegenübersteht. Stille und Warten … zwei Worte, die als Erfahrung für mich meist kaum auszuhalten sind. Warum ist mir allerdings nicht klar. Klar ist mir mittlerweile aber, dass ich mir wichtige Zeit stehle, wenn ich Stille und Warten nicht zulasse.

Zu 4. Abwechslung

Dazu ist eigentlich schon was gesagt worden. Im Prinzip gilt: je mehr Abwechslung, desdo kürzer die empfundene Zeitdauer.

Zu 5. Zeitfreie Aufgaben

Das ist auch ein spannender Abschnitt. Weil er nämlich klarmacht, wie scheinbar einfach man aus gepresstem Zeitdenken herauskommt und seine verfügbare Zeit psychisch verlängert.
Nämlich durch Beschäftigung mit Aufgaben, die die rechte Gehirnhälfte beanspruchen. (Für die Erkenntnis, dass sich unsere beiden Gehirnhälften mit ganz unterschiedlichen Informationen beschäftigen und diese auch unterschiedlich verarbeiten, hat der Biopsychologe Roger Sperry den Nobelpreis gewonnen.)

Wenn ich mich also intensiv mit Aufgaben beschäftige, die ausschließlich meine Kreativität ansprechen – wie Malen und Musik, dann kann ich das Gefühl für die Zeit verlieren. Wie ein Kind, das in ein Spiel vertieft ist. Aber Achtung: auch Malen und Musik kann die linke statt der rechten Gehirnhälfte ansprechen. Scheinbar zeitverlängernd wirkt die rechte. Niedlich finde ich, dass hier von einem R-Modus bzw. Flow-Modus gesprochen wird. :)

Das Kapitel 3 – die Geschichte der Uhrzeit – spare ich mir übrigens.

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