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Zeit – so anders wie Kulturen verschieden sind (1)

“Eine Landkarte der Zeit” von Robert Levine ist ein Buch, dass sich damit beschäftigt, wie verschiedene Kulturen mit der Resource Zeit umgehen … in dem Bewusstsein, “dass das Zeitgefühl eines Kulturkreises tiefe Konsequenzen für das körperliche, seelische und soziale Wohlbefinden seiner Menschen hat.”
Und genau dieser Gedanke ist es, warum mich das Thema beschäftigt.

Um nun den Blick zu schärfen, was genau beeinflusst den Umgang mit der Zeit und das Empfinden in ihr und durch sie, lese ich dieses Buch. Denn Levine´s Frage: “Wieviel Kontrolle habe ich über meine Zeit?” kitzelt nach Antworten, bei denen man sich leicht etwas vormachen kann. Und im Sinne einer freien Zeiteinteilung:

“Die Qualität eines Tages zu beeinflussen, das ist die höchste aller Künste.” Thoreau

Um das unterschiedliche Zeitempfinden der einzelnen Kulturen deutlich zu machen, erzählt der Autor zu Beginn von einem längeren Aufenthalt in Niteroi in Brasilien. Die Beschreibung der logisch auftretenden Konflikte im unterschiedlichen Empfinden zu Zeit und Pünktlichkeit kann man mit viel Schmunzeln lesen; mündend in die Aussage “… verlor ich allmählich die Übersicht darüber, wer zu früh und wer zu spät kam – und das war, wie ich mit der Zeit merkte, genau die Lektion, die ich zu lernen hatte.”

Die kulturellen Regeln der Pünktlichkeit sind “untrennbar mit kulturellen Werten verknüpft”. Die Regeln der sozialen Zeit hat der Anthropologe Edward Hall als “stumme Sprache” bezeichnet, so Levine. Jedes Kind lernt sie automatisch und doch kann man sie nirgendwo nachlesen.

Levine ist Sozialpsychologen und gründet seine Arbeit auf der Annahme, “dass Orte wie Menschen eine eigene Persönlichkeit haben”. Er zitiert den Soziologen A.Strauss: “Den ganzen Komplex des urbanen Lebens kann man sich eher als Person vorstellen denn als spezifischen Ort, und die Stadt kann eine ganz eigene Persönlichkeit besitzen.”
Wie wahr, wie wahr. Leipzig, London, Berlin … wobei “mein” Berlin auch ganz bestimmte Teile der Stadt sind … offenbar welche, die eine insich homogene Persönlichkeit bilden, bei der ich mich wohlfühle.
Und Orte, wo man diese Persönlichkeit nicht spüren kann, da kriecht die emotionale Leere der Stadt bis tief in mein Innerstes.

Doch zurück zu Levine’s Untersuchungen. Diese “… vergleichen das Lebenstempo an unterschiedlichen Orten und reichen von weiter zurückliegenden Experimenten in Brasilien und den Vereinigten Staaten bis zu einem Vergleich von 31 verschiedenen Ländern in den letzten Jahren.” Wobei er gleichzeitig kritische Anmerkungen zur Irreführung und Fehlverwendung daraus entstehender Rang-Listen macht.

Also … ich bin am Anfang des Buches und ich bin noch immer sehr gespannt auf die Auswertung seiner Studien. Mein Bauch meint ja, dass es dem Menschen am besten geht, wenn er es schafft, sein Leben an einem Ort zu verbringen, dessen Lebenstempo seinem eigenen inneren Rhythmus entspricht. Aber den eigenen Lebensrhythmus erstmal richtig zu erkennen und wichtiges von unwichtigem zu unterscheiden … das ist wohl eine echte Herausforderung.
Und so hoffe ich, Levine kann bewusst machen, welche Ursachen punkto Zeit welche Wirkungen nach sich ziehen.

Aber am besten spricht Levine für sich selbst:

“Dieses Buch ist nicht als eine Abhandlung über den “überarbeiteten Amerikaner” oder “die Zeitschraube” oder die “zwanghafte Eile” gedacht… Und es soll gewiss auch kein Ratgeber für das Zeitmanagement … sein. … Ich habe umfassenderes Interesse. In Eine Landkarte der Zeit möchte ich den Reichtum und die Komplexität von Ansichten über Zeit in Kulturen und Städten und bei Menschen auf der ganzen Welt zu begreifen suchen. Da die Zeit der Eckpfeiler des sozialen Lebens ist, bietet die Untersuchung der Zeitvorstellungen eines Volkes einen wertvollen Zugang zur Psyche einer Kultur, auch unserer eigenen.”

“Wenn ich meine Sache gut gemacht habe, wird dieses Buch auf unser eigenes Lebenstempo ein ebenso helles Licht werfen wie auf das der anderen. Wie gehen wir mit unserer Zeit um? Wie wirkt sich das auf unsere Städte aus? Auf unsere Beziehungen? Auf unseren Körper und unsere Seele? Gibt es Entscheidungen, die wir getroffen haben, ohne sie uns bewusst zu machen? Gibt es alternative Tempi, die uns mehr liegen? Vielleicht lassen wir uns dazu anregen … zurückzuschauen und zu sehen, was dort wahr ist und können so, auf unsere eigene Weise zeitlichen Reichtum erlangen.”



2 comments to Zeit – so anders wie Kulturen verschieden sind (1)

  • Tobi

    Spannende Perspektive… Wenn ich bisher etwas zu dem Thema las, ging es um das Zeitgefuehl im Wandel der Zeiten selbst. Aber ja, natuerlich: Sicher gibt es auch eine Orts-Abhaengigkeit. Dies hat man ja selbst schon oft gespuert, selbst wenn dieses Gefuehl vielleicht von dem persoenlichen Mentalitaetswechsel – bespielsweise durch Urlaub induziert – ueberdeckt war. Orten diesbezueglich eine Persoenlichkeit zuzusprechen, ist ein interessanter Kniff, denn es hebt das eigene Wohlfuehlen auf die Ebene der “passenden Chemie”, wie wir sie in der Regel sprichwoertlich zwischen Menschen finden (oder eben nicht).

    Ich gebe zu, der Denkansatz durch fremdes Exzerpieren eigene Lesezeit einzusparen, wird bei diesem Buch wahrscheinlich nicht funktionieren. :-)

    • Nora

      Ja, die Perspektive fand ich eben auch gut und mir sehr eingängig.

      Und *grins* ja, so ist das mit einem fremden Excerpt (ich liebe diese Methode). Aber das Buch hat einen Umfang und Schreibstil, so dass ich denke: für Dich … 2 Badewannen-Längen? Denn es ist ja auch ausleihbar. ;)

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