Haruki Murakami’s Buch endete auf dem Weg mit der Piccadilly Line nach Heathrow, genau in Osterley. Ein absolut empfehlenswertes Buch.
Warum gerade ich ein Buch über’s Laufen lese? Irgendwo habe ich eine Rezension gelesen, die mich fasziniert hat. So trivial war das. Nun bin ich vom Laufen grad so weit entfernt, wie die Jungfrau vom Kinderkriegen. Keine 5m lässt mein linkes Bein zu, geschweige denn irgendetwas mit mehreren Nullen hinter der Zahl und vor dem Komma. Traurig, aber wahr.
Wenn ich zurückdenke, war ich – egal in welcher Gewichtsklasse und Konfektionsgröße – eher ein bewegungsfauler Mensch. Ok, ich bin als Kind gern auf jeden verfügbaren Baum geklettert, bin mit dem Rad die letzten beiden Sommer zur Schule und war auch sonst ab und zu mit dem Rad unterwegs. Die Endnoten im Schulsport waren 2, am Ende 3. Doch im Grunde hab ich mich meist nur bewegt, wenn ich musste. Freiwillig aus Spaß an der Freude bin ich höchstens bis zur Erschöpfung Tanzen gegangen. Sonst … keinen Meter.
Aber es ist, wie es so oft ist im Leben … man bemerkt erst, wie wichtig und befreiend etwas ist, wenn man es nicht mehr kann. So wie ich die letzten Jahre das Laufen. Dabei erschienen mir 2000m mit 16 als reiner Mordversuch. Heute? Heute würde ich gern Laufen können. Und wie gerne. Doch das linke Bein weigert sich.
Warum erzähle ich das? Weil es sich heute noch überraschende Momente gibt, in denen mehr geht als gedacht. Am 18.06. in London, da war so ein Moment. Ort des Geschehens, die St. Paul’s Cathedral in London.
Jedes Mal, wenn ich in London bin, nutze ich die Gelegenheit für einen Besuch dieser wundervollen Kathedrale. Sie ist DAS Gotteshaus Englands und sie ist einfach nur schön. (Es lohnt sich übrigens, dem im Preis inbegriffenen Audioguide zuzuhören.)
Nun hat die Kuppel der Kathedrale 528 Stufen. In 3 Aufstiegsetappen. Die erste Etappe – bis zur Flüsterkuppel – beinhaltet 257 Stufen. Diesen Teil laufe ich immer. Jedes Mal. Es sind flache Holzstufen, die andere aufgrund der komischen Höhe sicher ätzend finden, die mir jedoch entgegen kommen. Nun hatte ich schon die gesamte Londonwoche Probleme mit dem Treppensteigen: links wie immer wenig Kraft, rechts Schmerzen. Eine ganz blöde Steh- und Hopsposition beim Keane-Konzert war die Wurzel des Übels. Entsprechend ging ich davon aus, dass ich den Aufstieg zur Flüsterkuppel diesmal meiden muss. Dieser erste Teil ist ein Stück, auf dem noch umkehren kann (auch wenn am Eingang anderes geschrieben steht). Und so dachte ich, in der Kathedrale stehend: ach was, ich probier es einfach. Und siehe da, die Stufenhöhe ging. Nicht nur das. Der üblicherweise spürbare Kraftverlust im linken Bein hielt sich in Grenzen. Folglich bin ich mutig auch noch die nächsten 119 Stufen weiter mit hoch. Danach hat’s dann aber gereicht. Denn nach der Flüsterkuppel beginnt eine enge steinige Wendeltreppe mit hohen und ungleichmäßigen Stufen. Bei den letzten 5 oder 6 … da ganz ohne Geländer zum Festhalten, nur Wände … da misstrauten wir einander wieder … Bein und ich. Also langsamer Gang und nur mit rechts steigen. Weiter bis zur dritten Ebene ging’s dann nur für die anderen. Ich aber stand verblüfft und happy auf der zweiten Ebene, der ersten Aussenplattform der St. Paul’s und hatte 376 Stufen überwunden … ohne Lift, an einem Stück ohne Pausen und ohne irgendwelche Gehhilfen. Keine Ahnung, ob das jemand nachempfinden kann. Doch das sind Momente, die in Erinnerung bleiben und die Mut machen, den Sport nicht ganz aufzugeben.
Dass solche Es-geht-ja-doch-Empfindungen auch sportliche Menschen haben, dass sie Rückschläge erleiden und sich wieder aufrappeln, hat mich immer wieder verblüfft beim Lesen von Murakami’s Buch. Ein wunderbares Buch.
Murakami berichtet über das Laufen … sein Laufen, das Training dafür und liefert dabei auch Rückblicke auf sein Leben. Vieles von dem, was er schreibt, könnte er auch beim Tee einem Freund oder Bekannten erzählen. Manches hört sich einfach, logisch, fast trivial an. Viele kleine und große Lebenswahrheiten …
Der Wunsch, allein zu sein, ist mir unverändert zu eigen. Deshalb ist auch die eine Stunde am Tag, die ich schweigend und für mich verbringe, von so großer Bedeutung für mein psychisches Wohlergehen. Beim Laufen muss ich mit niemandem reden und niemandem zuhören. … Um nichts in der Welt würde ich diese kostbaren Momente eintauschen.
… genau deswegen walke ich gerne mit Musi auf den Ohren auf dem Laufband … abschalten und mit sich allein sein. Schöne Momente.
Im Nachhinein betrachtet, war es vielleicht mein Glück, dass ich mit dieser Anlage zum Zunehmen geboren bin. Wenn ich nicht zunehmen wollte, musste ich täglich trainieren, auf meine Ernährung achten und Maß halten.”
… so hab ich das noch gar nicht betrachtet. ![]()
Ich war also 33, als ich mit dem Laufen anfing. Noch recht jung, aber kein Jüngling mehr. Das Alter, in dem Jesus starb. Oder Scott Fitzgeralds Niedergang begang. Vielleicht ist dieses Alter so etwas wie eine Wegscheide im Leben, denn zugleich begann damals, etwas verspätet, mein wahres Dasein als Schriftsteller.
… 33 eine Wegscheide? lustiger Gedanke
2001? … ja kann sein
Kurz gesagt, ich schreibe diesen Text, um meine Gedanken zu ordnen.
… ganz genau.
Ich gehöre zu den Menschen, die etwas physisch erfahren und tatsächlich berühren müssen, um eine klare Vorstellung davon zu bekommen.
… dito. Hinzu kommt, dass ich das Gefühl habe, etwas wirklich wichtiges fehlt, wenn dem nicht so ist.
Ein lesenswertes Buch … ![]()
Ach schön! Ich mag Murakami eh total gerne. Wobei ich ihn nur in bestimmten Stimmungslagen lesen kann/mag. So im Herbst, bei nem Glas Wein, draußen Regen…und so
Herzlichen Glückwunsch auch zu den bewältigten Stufen! Es gibt zwar bis jetzt nichts, was mich so krass einschränkt, aber dass man etwas erst vermisst, wenn man’s nicht mehr kann, kann ich dennoch nachvollziehen. Ist ja auch bei anderen Dingen im Leben so. Nun gibt es in sportlicher Hinsicht vielleicht noch Alternativen für dich, die du jetzt noch nicht entdeckt hast. Wer weiß? Und so lange dann eben walken
33 – eine Wegscheide? Dann hab ich ja noch ein Jahr. Witzigerweise kann das bei mir durchaus hinkommen. Wer weiß, wo man dann ist und für welchen Weg man sich entschieden hat. Was war denn bei dir 2001?
Es dauert übrigens nicht mehr lange, bis ich mit dir und Franzi bei nem Glas Wein auf dem Balkon sitze. Und ick freu ma drauf!
2001? Das Jahr war die oberste Eskalationsstufe meines Arbeitnehmerfrustes. Ich hab an wenige Jahre so viele detaillierte Erinnerungen an mega-ätzende Situationen wie an 2001. Ein Frustpunkt nach dem anderen mit Chefe. Und so fiel in der zweiten Jahreshälfte von 2001 im Grunde die Entscheidung, dass ich kündige. Der Rest bis zum schriftlichen Schritt im nächsten Frühjahr war nur noch eine Frage des Nachdenkens über den Weg.
Murakami … ich will ständig Murikami schreiben … kannte ich vorher überhaupt nicht. Kannst Du ein Buch besonders empfehlen (?) … der Herbst wird kommen und wenn ich nach draußen gucken, dann übt die Natur schonmal.
Balkon? He … ja … gerne … dann schicke mal die Datümserte über den Äther, wenn Du genaueres weißt.
Ich habe mit “Kafka am Strand” begonnen und mich dann durch so ziemlich alles durchgelesen. “Naokos Lächeln” ist erst vor kurzem verfilmt worden, hab ich allerdings noch nicht gesehen. Grad bei Wiki gelesen, dass Murakami als Nobelpreisträger gehandelt wird.
Ich bin auf jeden Fall vom 10.-20.8. in der Hauptstadt, näheres weiß man nicht
Ich melde mich aber definitiv!